Harald Bergmanns Hölderlin-Edition

Von
Christoph Bannat
der Freitag, 14. März 2013

Mit Harald Bergmann hat die Droge Hölderlin einen neuen Dealer. Er selbst hatte im Alter von 22 seinen Erstkontakt mit ihr, das richtige Alter für diesen Stoff. Heute ist Harald Bergmann Regisseur. In seinen Filmen über Friedrich Hölderlin trifft er auf Gleichgestimmte. 
Gestimmte, weil Hölderlin-Erstkontakte keine Frage der Bildung sind, sondern der Empfindsamkeit. Das Rauschpotenzial dieses Dichters besteht aus einer Mischung aus Selbstbegeisterung und Erregung, Wahnsinn und Sehertum. Hölderlin ist ein Sprachgenie. Dabei dauert es eine Zeit, bis man sich ihm lesend nähern kann. 

Die Edition, die Harald Bergmann nun vorgelegt hat, enthält in vier Teilen DVDs und Bücher. Die insgesamt gut 400 Seiten und 600 Film- und Archivfilmminuten, recherchiert zwischen 1992 und 2003, gestalten den Einstieg ins Hölderlin-Universum trotzdem leicht. Bedingt dadurch, dass man parallel zu Bild und Ton sämtliche Texte mitlesen kann. Die der Hölderlin-Rezitatoren, mit ihren unterschiedlichen akustischen Masken, ebenso wie die O-Töne der Interviewpartner. 
Gesprochen hat Bergmann mit Empfindsamen, egal ob Hirnforscher, Philosoph oder Literaturwissenschaftlerin. Oder leidenschaftlich bekennenden Dilettanten wie dem Verleger D. E. Sattler, der Hölderlins faksimilierte Typoskripte herausgibt. Diese hat Harald Bergmann wiederum, in hellsichtiger Erfindungsgabe, in Trickfilmmanier zum Leben animiert, Tintenspritzer inklusive. So vergegenwärtigt Bergmann Hölderlins handwerkliche Intelligenz beim Schreiben, dem palimpsestartigen und sprunghaften Verteilen von Schrift auf dem Papier, als eine Art künstlerischer Denkschrift. 
Ein Prinzip, das sich auf die Filmmontage selbst übertragen lässt. Unterschiedliche Schriftarten, cartoonhafte Gedichtillustrationen und assoziative Handkamerafahrten werden mit zeitgenössischen Aufnahmen, aufwändigen Studiodrehs, Spielfilmszenen oder selbstreferentiellen Zeichentischszenen verschnitten. Und unterlegt mit Hölderlin-Kompositionen von Alban Berg, aus dem Feld des Industrial Rock, von Mozart, Schubert und Bach. 
Als Neuling empfiehlt es sich, „einfach zu werden“, um sich später, wörtlich wiederholend, dem Genie zu stellen. Dabei hilft die Literaturwissenschaftlerin Anke Bennholt-Thomsen mit ihrer HIN-Formel, die damit – historisch, idealistisch, naiv – jene Gebiete attributiert, in denen Hölderlin brillierte. Seine Kunst bestand im rhythmisch formschönen Verweben der Risse zwischen den Begriffen. Dafür weckte er schon mal die Titanen, um sie anschließend in göttliche Momente zu bannen. So entsteht der hymnisch erhabene Hölderlin-Moment. 
Klassiker ist er, weil er noch heute zu uns spricht. Was Bergmanns DVD-Box bezeugt. Und das hört nicht beim Scardanelli-Mythos auf, Hölderlins spätem Ego der Jahre im Tübinger Turm. Wie der Philosoph Heinz Wismann mit Kant-Zitat bezeugt: „Es gibt nichts Größeres unter den Menschen als das Genie – aber Gott bewahr’ mich davor, eins sein zu müssen.“ Und fügt an: „Ich ziehe es vor, Genies zu verstehen. 
Bergmanns Box erzählt auch etwas über die lustvolle Arbeit der Übersetzung von einem Medium ins andere. Womit Bergmann, der schon Brinkmanns Zorn (2007) veröffentlichte über den Schriftsteller Rolf Dieter Brinkmann, Erfahrung hat.