Von
Herbert Spaich
Filmspaicher – Das SWR-Kino-Blog, 31.12.2012

Kein anderer deutscher Filmemacher hat sich derart intensiv mit dem Friedrich Hölderlin in seiner Zeit, aber auch seinen Nachwirkungen beschäftigt wie Harald Bergmann. Er hat über den Dichter mehrere Filme gedreht. Sie sind ebenso außergewöhnlich wie Hölderlins Werk. Zum ersten Mal zusammen sind Bergmanns Hölderlin-Filme jetzt in einer anspruchsvollen Edition auf DVD erschienen.
„Lyrische Suite/Das untergehende Vaterland“ nennt Harald Bergmann den ersten Teil seiner Trilogie über Hölderlin aus dem Jahr 1992. Es ist eine assoziative Bilderreise zu fünf späten Gedicht-Fragmenten des Dichters. Er hat sie geschrieben, als er für seine Zeitgenossen als „geistig Umnachtet“ galt. Heute betrachtet, haben sie den Surrealismus des 20. Jahrhunderts vorweg genommen. Sie werden unter anderem von  Regisseur  Jean-Marie Straub rezitiert, der mit seiner Adaption des „Tod des Empedokles“ eine der radikalsten Verfilmungen eines Hölderlin-Stückes gedreht hat.
Bergmann stellt in seinen Arbeiten kongeniale Bezüge zwischen Hölderlin und der Gegenwart auch über die Musik und in der Kombination mit modernen Texten her. Dadurch holt er den Dichter aus dem Elfenbeinturm der Literaturgeschichte. Zum Beispiel kombiniert er die Musik  Alban Bergs und mit Hölderlintexten.
Der Spätwerk Hölderlin und seine seelische Erkrankung steht auch im  Mittelpunkt von Teil 2 der Trilogie „Hölderlin Comics“  von 1994. Harald Bergmann schreibt dazu: „Der Film versucht, die berühmten späten Arbeiten des Dichters, die Texte und Entwürfe aus dem Homburger Folioheft, die er bis kurz vor seinem Abtransport in die Klinik schrieb, vorzustellen und sie in filmischen Formen umzusetzen“
Bei „Hölderlin Comics“ arbeitete Harald Bergmann erneutet pointiert mit der Kunst der Montage – ein Gedicht hat er beispielsweise mit einem Blick in einen klaren blauen Himmel in Beziehung gesetzt, durch den der Kondensstreifen eines Flugzeugs zieht.
Kaum einem anderen deutschen Dichter ist schwieriger bei zukommen als Friedrich Hölderlin. Eine Herausforderung  für den Rezitator, den Schauspieler. Harald Bergmann lässt darüber Otto Sander in „Hölderlin Comics“ nachdenken.
„Der arme Holderling wurde heute morgen abtransportiert, um zu seinen Angehörigen zurückgebracht zu werden. Wieder und wieder stieß ihn der Mann, der zu seiner Begleitung mitfuhr, zurück. Hölderlin schrie, dass Harschierer ihn wegholten und wehrte sich mit seinen ungeheuer langen Fingernägeln so heftig, dass der Mann ganz mit Blut bedeckt war.“ Das notierte Caroline von Hessen-Homburg am 11. September 1806: eine weitere Dimension seiner Hölderlin-Spurensuche gibt Harald Bergmann seinem „Hölderlin Comics“, in dem er den Gedichten Beobachtungen von Zeitgenossen über das Wesen des Dichters gegenüberstellt.
Den letzten Teil von Bergmanns Hölderlin-Trilogie bildet im Jahr 2000 „Scardanelli“. Mehr noch als bei den voran gegangenen Teilen bediente sich der Regisseur diesmal der dramaturgischen Möglichkeiten des Spielfilms. Die Titelrolle verkörpert der deutsch-französische Schauspieler André Wilms. Der Film „Scardanelli“ konzentriert sich auf Zeit in Hölderlins Leben, als er im Haus des Tübinger Schreinermeisters Zimmer als Pflegefall verbrachte. Dafür benutzte Harald Bergmann ausschließlich historisch belegte Quellen.
Harald Bergmann fasste seine jahrelange Beschäftigung mit Friedrich Hölderlin 2003 in einem Dokumentarfilmessay für „arte“ zusammen, der ebenfalls in der „Hölderlin-Edition“ enthalten ist. Eine Edition die ebenso aus dem Rahmen fällt, wie Bergmanns experimenteller Umgang mit Leben und Werk des Dichters: Die vier DVDs liegen umfangreichen bibliophilen Textbänden bei. Sie enthalten die Dreh-und Arbeitsbücher zu den Filmen. Weitere Materialien gibt es außerdem als Extras zu den einzelnen DVDs. Edel ausgestattet im stabilen Schuber umfasst Harald Bergamanns „Hölderlin Edition“ insgesamt 660 Minuten Film und 488 Seiten Text. Das hat natürlich seinen Preis: knapp 100 Euro für Hölderlin total!