Von
Wilfried Reichart
film-dienst, 24/2012

Wohin schleppt der einen, fragt der Philosoph Heinz Wismann. Das weiß der Teufel, lautet seine Antwort. "Denn eigentlich ist das Verschleppen das, worum es geht. Das einen aus dem gewohnten Lebenszusammenhang, aus dem gewohnten Weltdekor Herausreißen." Die Rede ist vom deutschen Dichter Friedrich Hölderlin (1770-1843) - und zugleich auch vom deutschen Filmregisseur Harald Bergmann, der zwischen 1992 und 2000 eine Trilogie aus drei abendfüllenden Kinofilmen drehte, die sich mit Leben und Werk Friedrich Hölderlins auseinander setzen; von Bergmann stammt auch der Filmessay "Passion Hölderlin", in dem Wismann, der Schauspieler Walter Schmidinger, der Hirnforscher Detlef B. Linke, der Hölderlin-Herausgeber D.E. Sattler, der Komponist Heinz Holliger und die Literaturwissenschaftlerin Anke Bennholdt-Thomsen darüber reden, was die poetischen Botschaften Hölderlins ihnen mitgeteilt haben.

In der Stiftung Moritzburg in Halle, dem Kunstmuseum des Landes Sachsen-Anhalt, hat Bergmann eine Filminstallation eingerichtet (bis 6.1.2013): Auf elf, in weitem Kreis angeordneten drei- bzw. zweigeteilten Monitor-Leinwänden erscheinen Bilder aus Bergmanns Filmen "Lyrische Suite" (1992), "Hölderlin Comics" (1994), "Scardanelli" (2000) und "Passion Hölderlin" (2003). Man kann Platz nehmen vor den Leinwänden, sich den Kopfhörer auf die Ohren setzen, sehen, hören und staunen, wie Sprache und Bilder, Schrift und Töne im Kopf des Besuchers das Bild eines Dichters entstehen lassen. Bergmann hat in seinen Hölderlin-Filmen eine überzeugende Form gefunden, Dichtung ins Medium Film zu übertragen. Er findet Bilder, Landschaften, animiert Zeichnungen, die zusammen mit Hölderlins Schrift (aus D.E. Sattlers Edition des "Homburger Folioheftes") und den Stimmen so großer Rezitatoren wie Walter Schmidinger, Udo Samel, Otto Sander und Tina Engel das Leben und Werk, aber auch den Mythos Hölderlin lebendig werden lassen.

Aus dem Dunkel des Kinos führt eine schmale Treppe dann nach oben in den hellen Tag des Museumsraums, in dem in Vitrinen Materialien präsentiert werden: Vorlagen für die Schriftanimation, Fahrpläne für die Einzelbildmontagen, Fotos, Zeichnungen, Masken. Nach der Dekonstruktion der Installation warten die originalen Hölderlin-Filme auf den Flaneur, eine schöne, in klarem weiß gehaltene "Hölderlin-Edition"; vier Bücher mit ausführlichen Texten, Zitaten, Interviews, editorischen Notizen, ein audiovisuelles Archiv mit umfangreichen Rezitationen von Hölderlin-Gedichten und plus die jeweils dazugehörige DVD des Films. Wer es nicht nach Halle schafft, findet den Zugang zu Bergmanns Hölderlin-Edition auch im Internet. Die Filme sind einzeln und in der Gesamtedition lieferbar.